Jäger der versenkten Bälle

tages anzeiger 17 april 2013

Der Golfplatz-Teich als Einnahmequelle: Röbi Hari taucht in den Wasserhindernissen von Golfparks nach verlorenen Bällen und macht sie anschliessend zu Geld.

Die Szene wirkt surreal: Ein Mann in Tauchermontur samt Pressluftflasche und Schwimmflossen watschelt über den gepflegten Rasen des Golfparks Winterberg. Bei einem Wasserhindernis watet er durchs Schilf und verschwindet im Wasser. Bald verraten nur noch aufsteigende Luftbläschen seine Position. Doch wenig später erhebt sich eine Hand aus dem Teich und streckt etwas Weisses in die Luft – zwei Golfbälle. Der Mann im Taucheranzug ist Röbi Hari (46), Inhaber eines Sportfachgeschäfts in Adelboden und nebenberuflich Golfballtaucher. Im Auftrag von Golfplatzbetreibern fischt er Bälle aus Wasserhindernissen, welche die Spieler aus Versehen oder Ungeschicklichkeit darin versenkt haben. 20- bis 30-mal pro Sommer ist Hari auf Golfplätzen in der Deutschschweiz unterwegs. An diesem Morgen geht er auf der 9-Loch-Anlage in Winterberg auf Sammeltour.

600 Bälle in 30 Minuten

Viel sieht Hari auf seiner Unterwasserexpedition nicht. Das Wasser im knapp 2 Meter tiefen und 6 Grad kalten Teich ist trüb. So tastet er mit seinen Handschuhen den schlammigen Grund nach Bällen ab. Unter Wasser erhält der Taucher immer wieder Gesellschaft – von neugierigen Fröschen, von denen es im Tümpel wimmelt und die dem ungewohnten Besucher ständig «an die Taucherbrille klopfen», wie Hari sagt.

Trotz minimaler Sicht erweist sich einer der Wassergräben als Schatzgrube. Rund 600 Bälle sammelt Hari in bloss einer halben Stunde in dem Tümpel. «Das sind noch lange nicht alle Bälle, es liegen noch Hunderte im Teich», berichtet Hari später. Wo in den Wassergräben die besten Jagdgründe liegen, weiss er aus Erfahrung. Weil er selber Golf spielt, kann er je nach Entfernung vom Abschlag abschätzen, wo am häufigsten Bälle im Teich landen.

Aus dem Pech der Golfer schlägt Hari Profit. Bei sich zu Hause reinigt er die Teichbälle, wozu er eine eigens dafür umgebaute Waschmaschine benutzt. Die sauberen Bälle sortiert er dann nach Abnutzungsgrad, Verfärbung und Marke. Anschliessend verkauft er sie via Internet an Kunden in der ganzen Schweiz. Die Occasionsbälle sind in seinem Versandhandel ab 1.50 Franken pro Stück zu haben. Damit sind sie deutlich billiger als neue. Gute Bälle kosten neu schnell einmal 5 Franken und mehr. Bei Golfern sind die günstigen «Bälle mit Erfahrung» entsprechend begehrt.

Allerdings kann Hari nicht den ganzen Fang behalten. Einen Teil beansprucht der Golfplatzbetreiber, er gilt als Eigentümer der im Wasserhindernis gelandeten Bälle. Hari trifft jeweils ein Arrangement. «Fifty-fifty» lautet der Verteilschlüssel in Winterberg. Dafür holt der Golfballtaucher auch noch Abfall und weggeworfene Golfutensilien aus den Teichen und reinigt die Pumpen der Bewässerungsanlage. Golfplatzbetreiber David Keller schätzt die Arbeit von Hari. Auch er verkauft die Teichbälle in seinem Golfshop. Dort hat er schon spezielle Situationen beobachtet: Golfer etwa, die aufgrund von Markierungen auf einem Ball feststellen mussten, dass sie soeben ihren eigenen Ball zum zweiten Mal gekauft hatten.

«Nimm doch ein U-Boot»

Hari ist meist frühmorgens auf den Golfplätzen unterwegs, bevor der grosse Ansturm einsetzt. So will er verhindern, dass er bei seiner Arbeit von herumfliegenden Bällen getroffen wird. Der Tauchgang selber birgt wenig Gefahren. Dekompression ist kein Problem, weil sich die Tauchtiefe in Grenzen hält. Riskant sind höchstens Schlingpflanzen, in denen man sich verheddern kann. Doch Hari war «schon ein paar Mal im Wasser», wie er sagt. 2000 Tauchgänge auf der ganzen Welt hat der Divemaster absolviert, darunter auch schwierige in Schiffswracks.

Golfspieler reagieren oft überrascht auf den Taucher im Tümpel. «Sie fragen, was ich hier tue und ob ich im Wasser überhaupt etwas sehe.» Auch flapsige Bemerkungen bekommt er zu hören: «Nimm doch ein U-Boot, dann kannst du länger unten bleiben», ruft ihm ein Golfspieler in Winterberg zu. Einmal jagte er zwei Golferinnen einen gehörigen Schrecken ein, als er im schwarzen Taucheranzug neben ihnen aus dem Wasser auftauchte und fragte: «Ist das Ihr Ball?»

Lukratives Geschäft in den USA

Seine Einnahmen als Golfballtaucher behandelt Hari als Geschäftsgeheimnis. «Leben kann ich nicht davon», sagt er. Zumal in vielen Golfclubs auch eigene Mitglieder mit einem Tauchbrevet in die Tümpel steigen und Bälle bergen. Von Umsätzen, wie sie Profi-Golfballtaucher in den USA mit «Lakeballs» erzielen, könne er nur träumen. Dort hat sich eine eigentliche Golfball-Recyclingindustrie entwickelt, in der laut «Zeit online» satte Gewinne locken. Was für Hari zählt: Als Jäger der versenkten Bälle kann er seine Hobbys Tauchen und Golfen «auf ideale Weise verbinden».

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