Migros-Magazin: Der Golfball-Taucher

migros magazin 2013 12 16

In den Wasserhindernissen der Golfplätze lagern wahre Schätze: Hunderte von Golfbällen. Der Adelbodner Röbi Hari taucht professionell nach diesen Bällen, reinigt, schrubbt sie und verkauft sie als «Bälle mit Erfahrung».

Grasgrün erstreckt sich der kurzgeschnittene, frisch gestriegelte Rasen über die hügelige Golfplatzlandschaft. Am Teich wächst Schilf. Die Wolken hängen grau schwer, der Herbsttag ist eisig kalt. Golfer sind weit und breit keine in Sicht. Dafür ein Taucher. Ein braun gebrannter Mann, mittelgross, stürzt sich gerade in seine volle Montur: Trockenanzug, Bleigurt, Taucherbrille. Gasflaschen am Rücken, grosse gelbe Flossen an den Füssen. Er prüft kurz die Atemluft der Druckluftflasche, und eine Minute später ist er im trüben Wasser verschwunden.

Man sieht es blubbern, und zwischendurch erscheinen die gelben Flossen und das rote Presslufttauchgerät an der Wasseroberfläche. Das ist Röbi Hari (46) aus Adelboden BE, er taucht nach den versunkenen Schätzen der Golfplätze: nach Golfbällen. 20 Minuten später steigt er aus dem Wasser, in der Hand ein prall gefülltes Netz mit Bällen. «Da hat es ziemlich was drin», sagt er und strahlt. Die Bälle sind schlammig, grün, schwarz, braun. Ein paar reisst er aus dichtem grünen Algengewächs heraus. «Hier hat noch nie jemand getaucht», sagt er und weiss: Es müssen noch Unmengen von Bällen auf Grund liegen in den Teichen des Golfplatzes Heidental in Stüsslingen SO.

Röbi Hari hat viele Sommer als Divemaster in Ägypten verbracht, ist als Skilehrer tausendfach die heimatlichen Hänge hinuntergekurvt und führt in Adelboden mit seiner Frau Anika ein Sportfachgeschäft, das seine Grossmutter einst gegründet hat. Seit drei Jahren ist er zudem auch Golfballtaucher. In der ganzen Schweiz fischt der Berner Oberländer, der mit allen sofort per Du ist, Bälle aus den Wasserhindernissen auf den Golfplätzen. An etwa 30 Orten pro Saison.

Heute ist er die Attraktion des Platzes. Der Manager kommt vorbei, zwei Greenkeeper machen ihre Pause beim Teich. «Ein grosser Fisch heute im Teich», frotzeln sie.

Nicht immer sind die Reaktionen positiv. Eine Zürcher Golferin empörte sich einmal regelrecht über ihn. «Sie hat mich so richtig zusammengeschissen. Sie fand, das ginge überhaupt nicht, was ich da tue, und hätte mich am liebsten verjagt», sagt er und schmunzelt. So schnell ist er jedoch nicht aus dem Konzept zu bringen. Begriffen, worum es geht, habe die Dame nicht. Golfballtauchen sei nämlich etwas äusserst Sinnvolles: Statt dass die vielen Bälle, die bis zu zehn Franken pro Stück kosten können, im Teich verrotten, werden sie wiederverwendet.

Manchmal findet Hari auch anderes: Er hat schon Golffahnen, Schirme oder Schläger herausgefischt. «Einmal hob ich ein komplettes Damenset, das hatte eine wohl aus Frust im See versenkt», sagt er und lacht.

In der Schweiz ein noch unbekannter Beruf

Auf die Idee, nach Golfbällen zu tauchen, kam er vor vier Jahren, als er in Thun selber Golf spielte. Meist nimmt er gelassen, was kommt und wie es kommt. Doch an jenem Nachmittag ärgerte er sich gewaltig: Der Ball landete nicht im Loch, sondern im Teich. «Das hat mich so richtig genervt. Und ich habe gesagt: Den hole ich raus!», erinnert er sich. Er tauchte ein paar Tage später dann tatsächlich in das trübe Wasser des Golfteichs hinab. Seinen Ball hat er aber nicht wiedergefunden. «Aber einen Haufen anderer Bälle», sagt er lachend. In den USA sind die wiederverwendeten Bälle als Lakeballs bekannt. «Dort kann man damit Millionär werden.» Was in den Staaten ein anerkanntes Business ist, kennt man in der Schweiz kaum. Hier wird Röbi Hari meist als Spinner angeschaut. «Sage ich, dass ich Golfballtaucher bin, fragen die meisten Leute verwundert: ‹Was?›»

Einen Hauch Verrücktheit oder Idealismus braucht es. Denn reich wird man in der Schweiz damit nicht. Und: «Das ist kein Plauschtauchgang», sagt Hari, der sich von seinen Tauchgängen in Sharm el Sheikh und Dahab in Ägypten farbig leuchtende Korallen und tiefblaues Meer gewohnt ist – und vom Thunersee 40 Meter stockdunkle Tiefe, Fische und eine dunkle Unterwasserwelt. «Das hier ist eher Pfützentauchen.» Gern tut er es trotzdem. Warum? «Es ist mal was anderes.» Es ist sein Sammlertrieb, der ihn antreibt und motiviert. «Es ist wie beim Pilzlen. Wenn du einen gefunden hast, willst du den nächsten finden, und immer weiter.»

Beim ersten Tauchgang auf dem Golfplatz ist er noch auf Sicht getaucht. Doch bald hat er gemerkt, dass die Mehrheit der Bälle in der zehn Zentimeter tiefen Schlickschicht des Seegrunds steckt, und er sie nur tastend findet. «Heute suche ich blind.» Er spürt selbst durch seine Tauchhandschuhe hindurch gut, ob er einen Stein oder einen Ball greift.

In seinen Ferien erholt sich der Taucher selbst beim Golfen

Nur selten trifft der Taucher auf «gfürchige» Wasserbewohner. Der grösste war ein Wels. Der Fisch schwamm direkt vor seiner Nase herum. Angst hatte er keine. «Der Wels ist ebenso erschrocken wie ich und hat ganz schnell das Weite gesucht.»»

Die gehobenen Bälle wäscht Röbi Hari in seiner Waschmaschine, die er mit Bürsten zum Putzgerät umfunktioniert hat. «Die ersten Bälle habe ich noch von Hand gewaschen und gebürstet.» Er schüttelt den Kopf: «Viel zu viel Arbeit.» Etwa die Hälfte der Golfbälle ist noch brauchbar, diese verkauft er in seinem Onlineshop Golfballtauchen.ch. Einen Teil muss er den Plätzen abliefern – meistens. Manche Clubs sind auch einfach froh, werden die Wasserhindernisse von Bällen und Abfall befreit.

In die Ferien fährt Röbi Hari meist irgendwohin, wo es warm ist, wo es Meer in der Nähe hat und Golfplätze zu finden sind. Reist er mit seiner Frau Anika, einer gebürtigen Südafrikanerin, in ihr Heimatland, gehen sie golfen, und er geniesst den lockeren Umgang auf den Fairways. «Golfen ist dort ein Breitensport. Man ist sehr locker. Das mag ich.»

Tauchen geht er in seinen Ferien natürlich auch – Golfbälle fischt er dann aber keine. Lieber beobachtet er Fische, Schnecken und die Unterwasserwelt des Meeres.

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